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Joes Jazzhouse, Wiesbaden
Ein Nachruf

New York, in den siebziger Jahren. Eine kleine, verrauchte, düstere Bar. Von der Decke hängt eine silberne Discokugel. Im Teppichboden sind kleine Brandflecken, aber das spärliche Licht der roten Lampe lässt sie gnädig im Dunkeln. In einer Ecke hinter dem Tresen sitzt regungslos ein älterer Schwarzer und raucht Pfeife. Die Musikanlage spielt Shaft, doch ansonsten ist vollkommene Stille.

New York ist Wiesbaden und der Mann hinter dem Tresen heißt Joe. Die Bar ist das Jazzhaus und seit Ende 2001 verwaist. Doch war sie viele Jahre die geheime Seele der Schiersteiner Straße.

Täglich ab 17 Uhr erwachte sie im Keller eines der typischen Bürgerhäuser, deren Fassaden man deutlich ansieht, dass an ihnen seit Jahrzehnten der Verkehr einer vielspurigen Straße vorüberdonnert.
Im ständig schummrigen Inneren spielte er immer wieder Golden Soul, aus dem Fundus einer enormen Plattensammlung, oft bis nachts um vier oder noch länger. Manchmal alte Jazz-Standards, in glücklichen Momenten gesungen von Joe himself, der seinen Hocker links hinter dem Tresen ansonsten nur verließ, um Getränke einzuschenken. Oder, wenn er mit seinem steifen Bein unter die Discokugel trat um mit einer jungen Frau oder gesetzteren Dame mit überraschender Eleganz und Leichtigkeit zu tanzen.

Unter der Woche dagegen gab es meist nur wenig Grund für den ehemaligen Offizier der US-Airforce seine Pfeife aus der Hand zu legen. Oft war das Jazzhaus über Stunden verwaist. Für Joe scheinbar kein Problem: „Das Jazzhaus mache ich eigentlich nicht für meine Gäste. Ich möchte nur die ganze Nacht Musik hören und manchmal habe ich dabei Besuch.“

Der Besuch fühlte sich geehrt, wo sonst gab es schließlich noch so wundervoll heruntergekommene New Yorker Bars. Doch die siebziger Jahre sind nicht nur in Manhattan inzwischen endgültig vorbei.

Das Denken einfach abschalten. Nur das Hier und Jetzt spüren. Und irgendwie den Recorder anwerfen. Für später. weiter