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Camaiore - von falschen und von richtigen Wegen
Welch ein Segen, endlich von der engen Straße wegzukommen. Nicht mehr zu fürchten, im falschen Moment an den nicht vorhandenen Seitenrand ausweichen zu müssen, wenn die Autos die kurvige Bergstraße herunter rasen. Doch nun, wie weiter? Vor dem auf der Karte eingezeichneten Wanderpfad wird mit nicht weniger als sechs roten Dreiecksschildern gewarnt, italienisch zwar, doch der Blick auf den abgerutschten Hang macht eine Übersetzung unnötig. Hier ist also ein Ausgangspunkt für Wanderungen in die südlichen Apuanischen Alpen, ansonsten aber keine Menschenseele.
Dafür ein anderer, gleichermaßen bequemer wie unbekannter Weg, der mitten hinein in die dichten und uralten nordtoskanischen Wälder führt. Sogar so etwas wie ein Rundwanderweg ist bald auf einer Tafel, wenn auch nicht auf der Karte, eingezeichnet.

Einige Stunden Zeit sind noch vorhanden. Ganz im Gegensatz allerdings zur versprochenen Abzweigung des Rundkurses.Der Weg, mittlerweile ein armseliger Trampelpfad geworden, steigt stattdessen einen immer enger werdenden Bachlauf hinauf. Die Bäume stehen hier dichter und beeindruckende Kalkfelsen rücken allmählich näher.

Urwald statt Forst. Der Moder von feuchtem Unterholz siegt über den Duft des blühenden Sommerflieders. Überraschend schnell hatte sich die Zivilisation verabschiedet und liegt dann doch völlig unvermittelt und in Trümmern direkt vor einem im spärlichen Licht. Die alten, efeuumrankten Ruinen gehörten einst zu einer Bergarbeitersiedlung, aber seit mehr als 150 Jahren rotten die Zeugnisse der Industrialisierung Stück für Stück beiderseits des Baches vor sich hin.Und auch heute scheint die Erschließung der Natur hier ein schwieriges Unterfangen. Die lang vermisste Wegmarkierung zeigt plötzlich in alle drei Richtungen einer Abzweigung.
Noch spielt Zeit keine Rolle. Auf die Felsen zu, an ihnen entlang und weiter. Die Dornenzweige in Wadennähe nehmen zu, steiler wird der Weg und undeutlicher. Wann ist hier zum letzten Mal jemand gegangen? War es nicht eher dort rechts? Auch dort keine freie Sicht zur Orientierung, keine Berge zu sehen, dafür gespenstische Stille. Stille, die bei jedem Schritt zunimmt. Welcher Weg der richtige war, spielt längst keine Rolle mehr. The Heart of Darkness is calling.Was für eine Lust, sich dem Zwang, immer so weiter zu gehen, zu unterwerfen, sich so gehen zu lassen! Wohin ist längst keine Frage mehr.
Da hörte ich mein eigenes Lachen. Ich wandte mich um. Mein Begleiter hatte mich längst verlassen. Es war sowieso vorüber. Doch ein wenig davon müsste sich doch erhalten haben, etwas, das sich unmöglich vergessen ließe... weiter